"Angst vor dem Arbeitsvertrag?"

Jetzt haben wir endlich in den BAMF-Kursen Honorare von um die 43 Euro erreicht, und dann will uns die Rentenversicherung in schlecht bezahlt Arbeitsverträge zwingen – diese Sorge treibt zur Zeit viele Lehrkräfte in Integrations- und Berufssprachkursen um. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte, ohne das offen zuzugeben, 2022 seine Rechtsprechung geändert. Entscheidend für die „Scheinselbständigkeit“ ist insbesondere bei hoch qualifizierten Tätigkeiten nicht mehr so sehr die Bindung an Weisungen, sondern die Eingliederung in den Betrieb. Und die ist bei Lehrkräften gegeben, wenn sie in den Räumen des Auftraggebers mit dessen Arbeitsmitteln unterrichten und nicht selbst gegenüber den Teilnehmern als Anbieter des Kurses auftreten. Bei dieser Gelegenheit widersprach das BSG auch gleich der weit verbreiteten aber schon immer falschen Meinung, es ginge um die Zahl der Auftraggeber – das spielt nur bei der „Arbeitnehmerähnlichkeit“ eine Rolle, die z.B. zu einem Urlaubsanspruch führt.

 

Dem BSG geht es gar nicht um die Arbeitsbedingungen im Einzelnen, dafür wären die Arbeitsgerichte zuständig. Die Höhe des Gehaltes, Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz, Befristungen, die Arbeitszeiten waren bei dem Urteil kein Thema. Nur die Frage, ob die Bildungsträger als Arbeitgeber den vollen Sozialversicherungsbeitrag in Höhe von (meist) etwa 41 % selbst an die SV-Träger bezahlen müssen und davon nur etwa die Hälfte (meist 21 %) den Angestellten vom Gehalt abziehen dürfen. Auch wenn die Rechtsprechung noch nicht „gefestigt“ ist: das wird wohl für sehr viele Weiterbildungsbereiche künftig so sein, wenn die Tätigkeit mehr als „geringfügig“ ist. Geringfügig wären entweder weniger als 538 Euro im Monat (dann Pauschalbeiträge des Arbeitgebers) oder weniger als 70 Arbeitstage im Kalenderjahr, also eher nebenberufliche Dozententätigkeiten.

 

Aber IK/BSK-Lehrkräfte arbeiten meist hauptberuflich. Wenn die Träger nun statt etwa 43 Euro mit dem Arbeitgeberanteil etwa 52 Euro zahlen müssten, ginge die bisherige Rechnung nicht mehr auf. Das Mindesthonorar gilt aber auch nur für freiberuflichen Unterricht, nicht für Angestellte. Für Angestellte in diesem Bereich gibt es abgesehen vom gesetzlichen Mindestlohn von 12,41 Euro je Arbeitsstunde (nicht: Unterrichtsstunde) keine untere Grenze. Der „Mindestlohn Weiterbildung“ mit 19,15 Euro je Arbeitsstunde (in Gruppe II, insbesondere mit Studium) gilt nur für die durch Arbeitsagenturen oder Jobcenter finanzierte berufliche Bildung – für BAMF-Kurse nur dann, wenn der Bildungsträger überwiegend Maßnahmen nach SGB II oder III durchführt und IK/BSK nur in geringem Umfang. Und dieser Mindestlohn Weiterbildung bedeutet eben nicht 19,15 Euro für 45 Minuten Unterricht, sondern für 60 Minuten Arbeitszeit – einschließlich Vorbereitung, Besprechungen mit Teilnehmern und Kollegen, und auch für Tage mit Arbeitsausfall wegen Krankheit, Feiertagen, Kursausfall und für 29 Urlaubstage (5,8 Wochen) im Jahr.

 

Manche IK/BSK-Träger wenden diesen Mindestlohn Weiterbildung trotzdem an, aber oft völlig falsch: bei Vollzeit liegt er in etwa bei 3.250 Euro im Monat. Aber Vollzeit können natürlich keine 40 Unterrichtseinheiten in der Woche sein, dann blieben je UE nur 15 Minuten für alle anderen Arbeiten. Was genau in der Weiterbildung oder im Sprachunterricht Vollzeit wäre, weiß niemand. Bei Lehrkräften an öffentlichen Schulen gelten je nach Land, Schulart und Unterrichtsfach zwischen 23 und 28 Unterrichtsstunden als Vollzeit plus etwa 6 Ferienwochen im Jahr, die kein Urlaub sind. Bei IK/BSK erscheinen 25 UE realistisch – man unterrichtet 5 UE am Tag, die auf eine Stunde jeweils fehlenden 15 Minuten werden durch andere Arbeiten in der Bildungseinrichtung benötigt (Besprechungen, Kopieren, Formulare bearbeiten etc.) und man hat 3 Zeitstunden zur Unterrichtsvorbereitung für den nächsten Tag oder für Korrekturen.

 

Ob diese Schätzung genau zutrifft, lässt sich nur mit einer Arbeitszeiterfassung feststellen. Die ist aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts ohnehin schon Pflicht. Und selbstverständlich gilt das auch, wenn man einen Teil der Arbeit zuhause erledigt. Wer in der Bildungseinrichtung schon 40 Stunden in der Woche anwesend ist und dann zuhause noch täglich 3 Stunden arbeitet, müsste nach dem Mindestlohn Weiterbildung etwa 4.580 Euro im Monat verdienen (eine Arbeitszeit von 55 Stunden wäre aber gesetzlich verboten). Natürlich muss man dann den tatsächlichen Zeitaufwand dem Arbeitgeber mitteilen und fragen: wird das bezahlt, oder soll ich den Unterricht ohne Vorbereitung machen, oder werden meine Unterrichtsstunden reduziert? Den Mut muss man haben. Wer sich das nicht traut und auch in seiner Freizeit unbezahlt arbeitet, ist auch ein Stück weit selbst schuld. Das betrifft auch viele andere Arbeitnehmer und Beamte, auch die Lehrkräfte an öffentlichen Schulen.

 

Aber gehen wir mal von realistischen 25 UE als Vollzeit und analog zum Mindestlohn Weiterbildung 3.250 Euro Bruttogehalt aus. Bei knapp 6 Wochen bezahltem Urlaub im Jahr, einer Woche Feiertage (je nach Land) und vielleicht einer Woche Ausfall wegen Krankheit (knapp gerechnet) wären das 1.100 UE im Jahr. Ein Freiberufler würde dafür bei 43 Euro/UE 47.300 Euro bekommen, muss dann aber etwa 39 % (vom Gewinn, nicht vom Honorar) Beiträge zur Sozialversicherung selbst tragen, so in etwa 17.000 Euro, und zusätzlich die individuell sehr verschiedene Einkommensteuer. Für einen Vergleich muss man deshalb zum Bruttogehalt addieren, was der Arbeitgeber für Zeiten wie Urlaub und Krankheit und an Arbeitgeberbeiträge bezahlt. Bei 44 Wochen mit tatsächlicher Arbeit und 8 Wochen Lohn ohne Arbeit wären das 18 % plus etwa 20 % für die Sozialversicherung (noch ohne Unfallversicherung), also 38 % - und jetzt die Rechnung: 3.250 x 1,38 = 4.485 Euro monatlich, im Jahr also 53.820 Euro.

Sogar mit dem eigentlich nicht zutreffenden Mindestlohn Weiterbildung wären also die Personalkosten nur um knapp 9 % höher als bisher. Aber eben nur bei einer realistischen Zahl von Unterrichtseinheiten. Bei 28 UE als Vollzeit (wie z.B. oft bei Grundschullehrern) wären sie sogar fast identisch, also auch mit den jetzigen Kostensätzen des BAMF problemlos zu finanzieren. Wie es beim Nettogehalt der Lehrkraft aussieht, muss jeder selbst ausrechnen – da sind die Regelungen je nach Krankenkasse, Familiendaten bei der Pflegeversicherung, steuerlichen Daten, Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten zu verschieden. 

 

Die innerhalb des DGB zuständige Fachgewerkschaft GEW fordert eigentlich noch mehr. Der Mindestlohn Weiterbildung soll keine unterste Grenze bleiben, sondern z.B. wie in anderen Tarifbereichen mit der Berufserfahrung steigen. Und da IK/BSK eine öffentliche Aufgabe sind, sollten die besseren Tarifverträge des öffentlichen Dienstes die Grundlage sein – also Gehälter und Arbeitszeiten ähnlich wie bei Lehrkräften an öffentlichen Schulen. Dann muss natürlich auch nach Qualifikation unterschieden werden – der Seiteneinsteiger mit wenigen Wochen oder Monaten Qualifikationskurs wird nicht dasselbe Gehalt erwarten können wie die Lehrerin, die DaF oder DaZ studiert hat, und mit Master oder Staatsexamen wäre das Gehalt höher als mit Bachelor. In der Entgeltgruppe 13 im TVöD liegt es z.B. mit 6 Jahren Berufserfahrung derzeit bei etwa 73.000 Euro.

 

Aber darf das BAMF Kursträgern überhaupt vorschreiben, welche Gehälter sie bezahlen müssen? Ja, dafür gibt es Beispiele. Die Bundesagentur für Arbeit macht es im Bereich des Mindestlohns Weiterbildung ja schon seit 12 Jahren. Und private Schulträger wie z.B. Montessori-Schulen müssen, auch wegen der staatlichen Förderung, ihren Lehrkräften ein Gehalt bezahlen, das auch bei Berücksichtigung der Unterrichtszeit und der Berufserfahrung nicht mehr als 20 % unter dem an staatlichen Schulen liegt (die 20 % gelten in Bayern und einigen anderen Ländern, anderswo kann ein anderer Prozentsatz gelten). Natürlich muss das dann auch ausreichend refinanziert werden. Aber rechtlich geht das.

 

Wollen die Lehrkräfte das überhaupt? Das müssen sie selbst wissen. Die zusätzliche Arbeitslosenversicherung wäre ein großer Vorteil, das haben viele in der Corona-Krise erleben müssen und werden es wieder erleben, wenn die Migration zurück geht. Arbeitnehmerrechte wie Urlaub, Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Entgeltfortzahlung bei Krankheit – warum sollte man das nicht wollen? Tarifvertraglich geregelte Gehälter sind auch erst dann möglich, und auch nur, wenn genügend Lehrkräfte Mitglied der Gewerkschaft sind (das kostet zwar etwas, aber andere Organisationen wie FaDaF, DaFDaZ-Bündnis oder BVIB können keine Tarifverträge abschließen und verweisen deshalb auch selbst auf Gewerkschaften). Flexibel kann man auch mit Arbeitsvertrag sein – auch damit darf man zwei oder drei Tätigkeiten gleichzeitig ausüben und ist nicht lebenslang gebunden.

 

Schlechte Arbeitsbedingungen kann es als Freiberufler geben, und auch als Arbeitnehmer. Das kennen wir gerade im Bereich der Weiterbildung sehr gut. Man muss eben etwas dagegen tun.

Erwin Denzler

Der Verfasser ist Wirtschafts- und Arbeitsjurist und Gewerkschaftssekretär bei der GEW Bayern für den Bereich Weiterbildung und Privatschulen, dieser Beitrag ist aber seine persönliche Meinung, keine Stellungnahme der GEW.

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Kommentare: 4
  • #1

    DaFler aus Leidenschaft (Montag, 29 April 2024 20:11)

    Eigentlich ist alles an diesem Artikel absolut richtig. Leider ist es aber auch absolut einseitig und das ist auch das große Problem an der Debatte aktuell. Man könnte hier herauslesen, dass die privaten Bildungsträger sich durch die aktuelle Situation jetzt die Tasche vollmachen (das ist sicherlich nicht Herr Denzlers Meinung, aber diese Haltung existiert in der Community). Interessant wäre es doch auch, das Ganze mal aus Trägersicht vorzurechnen. Ab wann ist ein Kurs überhaupt rentabel (Stichwort Abrechnung nach Anwesenheit), welche Kosten muss ein Träger tilgen durch die Übernahme der SV-Beiträge, und so weiter. Ja, wir Lehrkräfte sind in unserer Branche völlig unterbezahlt - unbestritten. Ja, wir müssen dagegen was tun. Aber: Jeden Tag klagt jemand seinen Träger an: "er will nur 3000-3400 Euro brutto zahlen", "ich bin doch nie krank, was bringt mir die Fortzahlung im Krankheitsfall".... Das derzeitige Problem ist doch beidseitig und es muss eine schnelle Lösung her, sonst rennen nicht nur die Lehrkräfte davon, sondern es werden auch Bildungsträger schließen, für die Lehrkräfte gern weiterhin gearbeitet hätten.

  • #2

    Erwin Denzler (Dienstag, 30 April 2024 21:48)

    Lieber Dafler aus Leidenschaft,
    nein, ich will nicht den Kursträgern unterstellen, dass sie alle ausbeuterisch sind. Natürlich müssen sie vom BAMF die Kosten finanziert bekommen. Aber wie ich im Text ja schrieb: das kostet mit dem "Mindestlohn Weiterbildung" von ca. 3.250 Euro im Monat bei 28 UE in der Woche aufs Jahr gesehen ziemlich genau das gleiche wie derzeit das Mindesthonorar. Natürlich wären 25 UE und ein höheres Gehalt das eigentliche Ziel. Es gibt aber leider auch Kursträger, die für dieses Gehalt 35, 38 oder gar 40 UE pro Woche erwarten. In Bayern, wo ich zuständig bin, habe ich das z.B. von einigen Standorten des sehr großen Bildungsträgers bfz so erfahren. Ein anständiger Arbeitgeber wird das aber nicht machen.
    Viele Grüße, Erwin

  • #3

    DaF-Dozentin (Freitag, 03 Mai 2024 17:40)

    Vielen Dank Erwin Denzler für die informative Darlegung, die Richtgrößen gibt. Leider ist meine Erfahrung, dass viele Träger für die genannten Gehaltschargen 38-40 Stunden ansetzen. Zudem ist die Anstellung aktuell oft eigentlich keine dauerhafte Anstellung. Es gibt sehr viele auf 1 Jahr befristete Verträge, mit 6 Monaten Probezeit. Ganz oft steht in Stellenanzeigen, dass eine feste Anstellung "in Aussicht gestellt werde". Von nicht wenigen Kollegen weiß ich, über die letzten Jahre, dass nach einem Jahr direkt ausgetauscht und nicht verlängert wurde. Daher ist schon die Frage und meine Frage, ob eine Anstellung mit einer Perspektive von einem Jahr wirklich eine Alternative ist. Wo sind die Stellen, die mehrere Jahre oder unbefristet ausgeschrieben werden? Dies als Gedankenanstoß, mit nochmaligem Dank für die Erläuterungen!

  • #4

    Lehrkraft (Sonntag, 05 Mai 2024 13:02)

    Die Situation der LK in IK und BSK ist generell katastrophal, egal ob wir von Festanstellung oder Freiberuflichkeit sprechen. Angesichts der Tatsache, dass das von der Bundesregierung während der Ära Merkel lancierte Langzeitprojekt (!) u.a. mit den Schwerpunkten "Zuwanderung" und damit verbunden mit "Integration" sowie "Behebung des Fachkräftemangels" hauptsächlich (!) mit den Lehrkräften in IK und BSK steht und fällt, werden meiner Erfahrung nach nahezu alle Lehrkräfte, welche für (private) Bildungsträger arbeiten, stiefmütterlich behandelt. Von den Lehrkräften wird ein sehr hohes, überdurchschnittliches Maß an Engagement verlangt. Angesichts der oft hohen Kursstärken (bis zu 25 TN in IK!) und der nahezu durchgängigen Heterogenität der Lernenden und der damit einhergehenden sehr hohen Anforderungen des BAMF an die Lehrkräfte werden Freiberufler und vor allem auch angestellte LK (insbesondere am bfz) sehr schlecht bezahlt -bei gleichzeitig sehr hoher Arbeitsbelastung. Vor- und Nachbereitungszeit findet in der Regel nach dem Unterricht / zuhause statt und wird (meist) nicht finanziell vergütet. Eine Vollzeitstelle beispielsweise am bfz bedeutet oft: 30 bis 39 Stunden Unterricht. Generell wird seitens der Träger die benötigte Zeit für eine adäquate, binnendifferenzierte Unterrichtsvorbereitung gnadenlos unterschätzt und bagatellisiert. Hinzu kommt: IK LK bereiten auf die Einbürgerung vor, BSK LK in B2-Kursen auf die berufliche Anerkennung. Prüfer, ebenfalls aus der Privatwirtschaft (!), nehmen Einbürgerungstests (DTZ, LiD) ab. Es verwundert, dass das wichtige Thema "Integration" überwiegend in private Trägerschaft ausgelagert wurde und noch immer wird. Normalerweise müssten alle LK in IK und BSK sowie besonders auch DTZ- und BSK-Prüfer verbeamtet oder zumindest nach TVöD bezahlt werden, da die Themen "Einbürgerung" und "B2-Kenntnisse für berufliche Anerkennung" einfach viel zu sensibel und wichtig sind. Seit Jahren ist weder eine politische, gesellschaftliche noch finanzielle Wertschätzung von Lehrkräften / Prüfern in IK und BSK kaum bis gar nicht erkennbar. -Gleichzeitig steigen die Anforderungen an LK, was durch die zahlreichen obligatorischen "Zusatzqualifikationen" und der seitens des BAMF gewünschten "lebenslangen Weiterbildung" für LK belegbar ist. -Freilich ohne auch dies vor allem finanziell ausreichend zu würdigen. Die Rentenversicherungspflicht generell und insbesondere die enorm hohen Beitragszahlungen angesichts unklarer Auftragslagen bei freiberuflichen LK in IK und BSK runden das negative Berufsbild ab. Ist angesichts dieser desolaten Situation zeitnah mit einer positiven Lösung zu rechnen? (Ich sprach das Thema oft beim BAMF an. Eine diesbezügliche Antwort seitens einer Regionalkoordinatorin war einmal: "Suchen Sie sich halt einen anderen Job.") Für TN in den jeweiligen Kursen wird seitens des BAMF scheinbar alles getan, die LK hingegen werden komplett vergessen.